In London wurde im vergangenen Jahr eine Software zur Vorhersage von Gang-Kriminalität getestet. Ich wollte rausfinden wie genau das funktioniert hat und ob der Test so erfolgreich war, dass die Software in der Praxis eingesetzt wird. Gefunden habe ich nicht allzu viel.
Das Beratungsunternehmen Accenture hat im vergangene Herbst eine Pressemitteilung über den Abschluss eines predictive policing Testballons in London herausgegeben. Inhalt: Predictive Policing funktioniert, das ist die Zukunft und Accenture kann das natürlich auch.
„A 20-week trial to identify London gang members likely to commit violent crimes has been completed by the Metropolitan Police. The force used a cloud-based analytics tool developed by Accenture that pulled in data from various crime reporting and criminal intelligence systems used by the police and applied predictive analytics to generate risk scores on the likelihood of known individuals committing violent crimes.“
Zusammenfassung bei „LinkedIn Pulse“, van Engelen 12/2014
Darüber wurde dann ausführlich in vielen Medien berichtet, fast alle Beiträge hatten aber kaum mehr Inhalt als die ursprüngliche Pressemitteilung. Einzig bei der BBC wurde noch zusätzliches Material generiert, indem Kritiker_innen einer solchen Praxis zu Wort kamen.
Das Projekt
Passiert ist scheinbar folgendes: Accenture hat in Kooperation mit dem Gang Crime Command der Londoner Polizei Daten zusammengeführt, die dort an unterschiedlichen Stellen gesammelt wurden und darauf aufbauend Wahrscheinlichkeitsmodelle entwickelt. Die sollten bewerten helfen welche Gangs oder Gruppen in Zukunft irgendwie kriminell aktiv werden.
Das klingt stark nach dem Konzept das auch den Chicagoer Heat Lists zugrunde liegt: Gewalt zwischen Gangs ist strukturell und nicht nur individuell und diese Strukturen zu identifizieren kann auch helfen sie vorherzusagen.
„[…]the intention was to identify groups of gang members that were at the highest risk of reoffending rather than singling out specific individuals.“ Leo Kellion, BBC, 29.10.2014
Es gibt in London nach Behördenangaben 58 aktive Gangs, die für 2/3 der von Gangs verübten Verbrechen verantwortlich sind. Gangkriminalität wiederum macht in einigen Bereichen einen nicht unwesentlichen Teil der Gesamtstatistik aus (17% der Schwerverbrechen, 7% der Raubüberfalle, 40% der Schießerein und 12% der schweren Einbrüche). Für die Analyse wurden Daten aus fünf Jahren ausgewertet. Aus den Daten der ersten wir wurde ein Modell generiert, mit den Erkenntnissen aus dem fünten Jahr abgeglichen wurde, um zu schauen ob sich die Ereignisse so (nachträglich) vorhersagen ließen.
Die Daten
In einem Beitrag bei SiliconAngel wird erläutert, dass das System geografische Daten, vorherige Straftaten, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und weiteres in Betracht ziehe. Unter „weiteres“ fallen auch Daten aus Social Media die die Polizei dort scheinbar auch beobachtet und so Dinge wie Beleidigungen zwischen Gangs registriert
„For example if an individual had posted inflammatory material on the internet and it was known about to the Met – one gang might say something [negative] about another gang member’s partner or something like that – it would be recorded in the Met’s intelligence system.“ Muz Janoowalla von Accenture im BBC Artikel
Im Modell wurden dann Verknüpfungen aus den Daten der ersten vier Jahre erstellt und dann die Personen heraus gesucht für die dann eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für eine weitere kriminelle Handlung im darauf folgenden Jahr errechnet wurde.
„Each time the system flagged potential high risk targets for the police, the Met then checked the computer algorithm’s prediction against actual acts of violence in the final twelve months of data. This allowed the Met to satisfy themselves that the model was predicting sufficiently accurately.“ Muz Janoowalla in seinem Blog bei Accenture 12.11.2014
Der Erfolg?!
Wie gut die Ergebnisse waren, ist leider kaum bekannt. In einem Beitrag heißt es das Ergebnis wäre “very accurate” (sehr genau) gewesen. Bei der BBC heißt es „he was confident the experiment had been a success“ (er war zuversichtlich, dass das Projekt ein Erfolg war) und Muz Janoowalla von Accenture selbst nennt die Vorhersagen „sufficiently accurat[e]“ (ausreichend genau). Mehr erfährt man (aus Sicherheitsgründen, vermutlich) nicht. Wenn man sich vor Augen führt, dass die meisten anderen Unternehmen, die in dem Bereich tätig sind, sehr ausführlich über gute Ergebnisse berichten, lassen die veröffentlichten Zitate von Accenture daran zweifeln, dass das Projekt voll bambus waren.
Ein bisschen googlen hat mich noch zur Genehmigung des Projekts geführt, die 2013 erteilt wurde. Darin wurden 33 Wochen Projektlaufzeit genehmigt, 20 hat es dann gedauert. Außerdem wird wiederholt betont, dass alle Kosten von Accenture übernommen werden (die 600.000 Pfund veranschlagt haben). Gegenleistungen der Behörden wurden, über die Kooperation an sich, keine festgelegt. Erst recht keine Verpflichtung eine Software anzuschaffen. Im Prinzip war es also ein sehr teures Werbeprojekt für Accentures predictive policing Abteilung. Das es früher beendet wurde und am Ende nur eine einzige magere Pressemitteilung dabei raus kam scheint auch ein Indikator für einen Misserfolg.
Das ändert aber sicher nichts daran, dass auch die Londoner Polizei weiter auf predictive policing setzen wird. Die Polizeibehörde hat sich nämlich selbst der „20:20:20 Challenge“ ausgesetzt. Das Vertrauen in die Polizei soll bis 2015 um 20% steigen, die Kriminalitätsraten bei bestimmten Verbrechen um 20% reduziert und die Kosten um 20 % (immerhin 500 Millionen Pfund) gesenkt werden.
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