Nach dem LKW-Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin wurde viel über präventive Maßnahmen gesprochen, um solche solche Attentate in Zukunft zu verhindern. Insbesondere Personen, die den Sicherheitsbehörden bereits als Gefährder bekannt sind, sollen in Zukunft stärker überwacht werden. Der Gefährder-Begriff ist (absichtlich) unscharf und erlaubt die Überwachung von Personen bei denen man vermutet, dass sie (weitere) Straftaten begehen könnten. Die Ungenauigkeit in der Definition hängt natürlich mit der Ungenauigkeit zusammen, was man für die Zukunft vermuten kann, und ist damit ein perfektes Spielfeld für predictive policing. RADAR heißt die Software, die das dazu BKA in Zukunft einsetzen will.

Wenige Wochen nach dem Anschlag von Berlin gab das BKA bekannt, dass eine Software einsetzen soll, um die Genauigkeit der Gefährderbeurteilung zu verbessern. Die Tatsache das Täter bekannt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Anschlag begehen könnte, nicht hoch genug eingeschätzt  wurde, ist Anlass genug die vermeintlich menschlichen Fehler durch Computerprogramme zu ersetzen. Die Software RADAR die offensichtlich schon länger entwickelt, aber auch eingesetzt werden soll, wurde in den Medienberichten im Januar wie folgt beschrieben:

Die Software basiert auf Erkenntnissen über die Vorgehensweise von 30 Attentätern, sowie 30 Gefährdern und „relevanten Personen“ und beinhaltet einen umfassenden Fragenkatalog: Welches Verhältnis hat die zu überprüfende Person zur Frage der Gewalt? Hat sie militärische Erfahrung? Hat sie Zugang zu Waffen? Wie sind die sozialen Bindungen? Lose, fest – ist jemand sozial integriert oder nicht? Je nach Ergebnis werden die von den Polizisten eingegeben Gefährder oder islamistische Kontaktpersonen farblich markiert: „gelb“, „orange“ oder „rot“ – für hochgefährlich. (tagesschau.de, 20.01.2017)

Die Süddeutsche erwähnt in ihrem Bericht ein ähnliches Produkt, DyRiAS, das als Grundlage für RADAR dient und schon seit einigen Jahren, vor allem im deutschsprachigen Raum, im Einsatz ist. Die Software, die in verschiedenen Varianten vorliegt, stuft Personen anhand eines Online-Fragebogens (den Dritte, nicht die Personen selbst, ausfüllen) auf eine Risikoskala ein.  Es handelt sich um keine automatische Beurteilung anhand vorliegender Daten, sondern die Bewertung soll computergestützt von geschulten Expert_innen durchgeführt werden.

Während die genaue Funktionsweise von RADAR unbekannt ist, findet man online eine detaillierter Beschreibung von DyRiAS für Schulen, die insbesondere nach Schulattentaten häufiger in den Medien war. Die Funktionsweise weist deutliche Parallelen zu RADAR auf und DyRiAS Hautpverkäufer, Jens Hoffmann, ist auch an der Uni Konstanz in der forensischen Psychologie tätig, mit der RADAR entwickelt wurde1.

Ich konnte bisher nur eine unabhängige Auswertungen2 zu DyRiAS finden, die bezieht sich allerdings auf die Variante die Gewalttäter in Beziehungstaten klassifiziert.3 Die Studie kommt zu dem Urteil, dass DyRiAS  – wie auch für weitere Software dieser Art – nicht besonders dazu geeignet ist Vorhersagen über das Risiko von Rückfällen von Täter_innen zu machen. Keiner derjenigen, aus einem Datensatz von 171, der tatsächlich rückfällig wurde, ist mittels DyRiAS in die höchste und keiner der nicht-rückfälligen Täter in die niedrigste Risikostufe einsortiert worden. Damit scheitert DyRiAS im Fall von Beziehungstäter an genau der selben Schwelle wie die Behörden bei Anis A., der Frage ob jemand ’nur‘ gefährlich oder schon sehr gefährlich ist.

Eines der Problem vor dem RADAR und Dyrias stehen hängt mit der geringen Datenbasis zusammen. RADAR getestet wurde mit nur 30 Beispielen getestet, damit muss auch bei der Software mit einer relativ hohen Fehlerquote rechnen. Zumindest theoretische besteht hier die Gefahr, dass, um Fehleinschätzungen zu vermeiden, eher hohe Risikostufen zugewiesen werden.

In ihrer Beschreibung von DyRiAS Schule gehen die Autor_innen allerdings auch noch auf die nicht-vorhersagenden Vorteile ihrer Software ein

•     Der Nutzer wird durch die von ihm vorgenommene
Beschreibung seiner Informationsgrundlage zu einer
gründlichen Fallrecherche motiviert.
•     Der Nutzer wird durch die von ihm vorgenommene
Beschreibung seiner Informationsgrundlage dazu ge-
bracht, den Fall gründlich zu durchdenken.
•     Der Nutzer dokumentiert damit welche Informationen
zu welchem Zeitpunkt des Fallverlaufes vorlagen und
macht die Risikoanalyse somit transparent und nach-
vollziehbar.

Es bleibt also zu hoffen, dass, falls bei den Sicherheitsbehörden bisher nicht strukturiert und gründlich gearbeitet wurde, die Software dazu anleitet.

  1. Hoffmann, Jens, Karoline Roshdi, and Mirko Allwinn. 2010. “DyRiAS Schule.” Dynamisches Risiko Analyse System []
  2. die Macher selbst haben DyRiAS Schule für gut befunden, aber da sie auch finanzielle Interessen haben erklär ich das Ergebnis mal für unzulässig []
  3. Gerth, Juliane, Astrid Rossegger, Jay P Singh, and Jérôme Endrass. 2015. “Assessing the Risk of Severe Intimate Partner Violence: Validating the DyRiAS in Switzerland.” Archives of Forensic Psychology 1 (2): 1–15. []