Jede predictive policing Software hat ihren eigenen Ansatz und spezialisiert sich auf eine bestimmte Theorie. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit BAIR Analytics, das in einigen US amerikanischen Bezirken eingesetzt wird und geografisches Profiling implementiert und Serientäter*innen in Pendler*innen und Marodeur*innen einteilt.

In diese Blog sind bereits einige predictive policing Techniken beschrieben worden. Wir hatten:

  • personenbezogene „Heatlists„, die individuelle Risikoeinschätzungen machen (und deren Wirksamkeit in Anbetracht aktueller Entwicklungen bezweifelt werden darf),
  • crime prediction auf Basis eines Algorithmus der Nachbebenvorhersage (selbstbewust vertreten von PredPol),
  • risk terrain modeling verschiedene ortsbezogenen Gegebenheiten in die Vorhersage mit einbezieht und in Hunchlab umgesetzt ist
  • und das, vor allem in deutschsprachigen Raum viel gelobte, aber wenig wirksame Precobs, dass auf der Near Repeats Theorie basiert.

Für mich neu waren Techniken zum geografischem Profiling, dass unter anderem von BAIR Analytics und ECRI vor allem in den USA angeboten wird. BAIR bietet verschiedene Softwareprodukte für den Bereich der öffentlichen Sicherheit an. Am weitesten verbreitet ist RAIDS Online, eine Website die im wesentlichen eine crime map bereit stellt. Dabei wird auf einer Karte dargestellt wo die Polizei aufgenommenen Straftaten verortet. Inklusive Kategorisierung, Zeitpunkt usw. Diese Listen sind in den USA häufig öffentlich (in Deutschland bietet einige Städte auch z.B. Einbruchsradars an),  RAIDS stellt von der Polizei aufgenommene Anzeigen dann auf einer Karte dar und berechnet zusätzlich die bekannten Heatmaps die anzeigen wo Kriminialitätsschwerpunkte sind. Dieses Geomapping ist auch bei anderen Tools implementiert und soll vor allem bei der Analyse helfen, ohne das behauptet wird damit Straftaten vorhersagen zu können.

Screenshot von ATACRAID

Darstellung von ATACRAID © BAIR Analytics

Für die Polizeibehörden ist RAIDONLINE daher auch relativ günstig (5,600 USD pro Jahr zahlt Bellingham) und wird, das zeigt die Städteauswahl an der Seite auf der Website, in den USA und Kanada genutzt. Nichtsdestotrotz wehren sich Bürgerrechtsbewegungen, u.a. eben in Bellingham, gegen die Nutzung von RAIDS Online, weil sie es als ersten Schritt zur Einführung von predictive policing sehen, dass sie ablehnen, weil sie die Festschreibung von Racial Profiling in Software fürchten. Das die Nutzung von RAIDS Online eine Strategie sein kann, um Polizeibehörden an die Firma zu binden ist sicherlich auch der Marketingabteilung von BAIR bewusst, hat die selbe Firma doch auch weitere Produkte im Portfolio. Dazu gehört unter anderem ATACRAIDS dessen Werbetext eben auch verspricht Verbrechen vorhersagen zu können.

Pendler*innen und Marodeure*innen

ATACRAIDS berechnet dazu „geographische Profile“ basierend auf einer Theorie nach der Serientäter immer von einem Ankerpunkt ausgehend ihre Tatorte aufsuchen. Die Annahme,  die auf die Arbeit der Psychologen  Canter und Larkin aus dem Jahr 1993 zurückgeht ((Canter, D., & Larkin, P. (1993). The environmental range of serial rapists. Journal of Environmental Psychology, 13(1), 63–69. )) ist, dass sich die Bewegungsmuster von Serientätern in zwei Klassen einteilen lassen, Pendler und Marodeure.

Anders als die Theorien, die Regelmäßigkeiten in den Tatmustern vor allem mit der Art der Straftat in Verbindung bringen suchen die Psychologen die Regelmäßigkeit in den Persönlichkeiten. Man geht davon aus, dass Täter*innen einen Bezug zur Tatgegend haben, weil sie in der Nähe wohnen oder regelmäßig vorbeikommen. Sie verüben ihre Taten vor allem in einer wahrgenommenen „Safety Zone“. In der Theorie stellt man sich diese Zonen dann als Kreise vor, in denen sich die Täter*innen überwiegend aufhalten.

Pendler und Marodeure in der Theorie von Canter/Larkin

Pendler und Marodeure in der Theorie von Canter/Larkin

In der Canter/Larkin Studie wurden dazu die Fälle von 45 verurteilten Serienvergewaltigungen untersucht. Die Autoren konnten allerdings nur Nachweise für die Theorie der Marodeure, also der von einer Homebase ausgehenden Täter, finden. Die Autoren haben aber auch nur spezielle Fälle betrachtet, bei denen sich Täter und Opfer nicht kannten (die Ausnahme bei sexueller Gewalt). Auch legen sie nahe, dass das tatsächlich geografische Umfeld (also etwa die Landschaft aber auch Straßenzüge, ob es sich um eher städtische oder eher ländliche Gebiete handelt) in dem Modell, dass von abstrakten kreisförmigen Zonen ausgeht, nicht berücksichtigen. An der Stelle ist das Risk Terrain Modeling wesentlich komplexer.

Mehr Faktoren

Die Pender/Marodeure-Theorie ist allerdings so simple und eingängig, dass sie in Untersuchungen  verschiedener Tatkategorien getestet wurde.1. Sexualstraftaten und Brandstiftungen lassen sich häufiger dem „Marodieren“ zuordnen. Einbrecher*innen dagegen handeln weniger binär, so dass die Kreistheorie um eine Zeit- sowie die Umgebungskomponente erweitert werden musste. In unterschiedlichen Zeiten ihrer „Karrieren“ handeln Einbrecher*innen verschieden, und auch abhängig davon ob sie in Städten oder ländlichen Umgebungen unterwegs sind.. Dazu kommt natürlich die Frage wie jemand unterwegs ist (zu Fuss pendelt es sich nicht so weit).

Eine andere  Aktualisierung der Theorie versucht das verhalten zu rationalisieren und macht eine Kosten/Nutzen Rechnung für Bestimmte Straftaten auf.2  Brandstifter in Städten müssen nicht so weit reisen, weil sie genug „Möglichkeiten“ (criminal opportunities) in der Nähe; ihre „Kreise“ sind daher kleiner. Die Entfernung, die für einen Raubdiebstahl in Kauf genommen wird, sei wiederum eher eine Abwägung zwischen den Entfernung zur Safe-Zone (in der man sich auskennt und weiß wie man unbeobachtet bleibt) und dem Wert der erwarteten Beute. Ein de-rationalisierender Faktor ist dann wiederum Alkohl, unter dessen Einfluss Orte wiederum anders gewählt werden

Es stellt sich also heraus, dass die Idee, Serientäter*innen hätten nur das eine oder das andere Verhaltensmuster, etwas unter komplex ist und wesentlich mehr Faktoren einen Einfluss haben. Auch was die Anwendbarkeit angeht gibt es einige Einschränkungen

1. Es müssen mindestens 5 Taten einer Serie sein,
2. sie sollten einem*r Täter*in zuzuordnen sein und die Serie sollte nahezu abgeschlossen sein,
3. man muss davon ausgehen können, dass der*ie Täter*in keine „Pendler*in“ ist,
4. der Ausgangspunkt der Taten darf sich nicht verändert haben und
5. die Verteilung der Tatort muss einigermaßen gleichverteilt sein.3

Die Theorie in der Praxis: Keine Bewährung

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Ausschnitt aus der Ergebnisse von Emeno et. al zum tatsächlichen Nutzen von geografischem Profiling

Trotz dieser Einschränkungen ist geografisches Profiling bei Ermittlungen in Serienstraftaten beliebt und neben BAIR ist ECRI der bekannteste Hersteller von Software dazu, die helfen soll die vielen Faktoren, die eine manuelle Analyse aufwendig machen, zu vereinfachen.

Die Ergebnisse der Analysen werden dann vor allem dazu genutzt, um die Streifen in den vermuteten Gebieten zu erhöhen und die Zahl möglicher Täter*innen zu verkleinern. Und für letzteres wird die Software von BAIR aktuell in Sacramento in Kalifornien eingesetzt. Dort wird die Liste der Tatorte mit dem aktuellen Wohnorten von Personen abgeglichen, die zu Bewährungsstrafen verurteilt oder vorzeitig entlassen wurden.  Wer für eine bestimmte Tat bereits einmal verurteilt wurde, darf also zuerst mit Besuch rechnen, wenn etwas ähnliches in seinem näheren Umgebung passiert.

Während beim geografischen Profiling also prinzipiell jedes Haus eine Wahrscheinlichkeit zugewiesen bekommt, dass es den*die Täter*in beherbergt lässt sich das in der Praxis nicht in Ermittelungen umsetzen. Und wenn Software eine Theorie umsetzt, die  davon ausgeht, dass es vor allen Dingen Serientäter*innen gibt statt auf Resozialisierung zu setzen sind Vorverurteilungen und Racial Profiling nicht weit weg.

  1. Eine Übersicht bietet etwa: Meaney, R. (2004). Commuters and marauders: an examination of the spatial behaviour of serial criminals. Journal of Investigative Psychology and Offender Profiling, 1(2), 121–137. http://doi.org/10.1002/jip.12 []
  2. Trotta, M. (2010). Serial offenders’ spatial behaviour: revisiting the marauder/commuter dichotomy. Abgerufen von http://orbi.ulg.ac.be/handle/2268/73623 []
  3. zitiert nach: Emeno, K., Bennell, C., Snook, B., & Taylor, P. J. (2016). Geographic profiling survey A preliminary examination of geographic profilers’ views and experiences. International Journal of Police Science & Management, 18(1), 3–12., allerdings fand die selbe Studie, dass bei den wenigsten Analysen die Einschränkungen berücksichtigt werden []