Anlass für diesen Post ist ein Bericht im Manager Magazin über die aktuelle Praxis der „dynamischen Preisgestaltung“, oder dynamic pricing. Dabei geht es um eine Entwicklung an deren Ende jeder Preise für ein Produkt pro Kund*in variiert werden  kann, und zwar bestenfalls auf Basis der Vorhersage wieviel sie*er zu zahlen bereit ist.

Für BWLer*innen ist diese Praxis ein alter Hut und heißt auch Preisdifferenzierung (oder auch Preisdiskriminierung, aber das wollen die PR Abteilung vermutlich als Begriff meiden). Die einfachen Beispiele: Am Ferienanfang kostet der Sprit an der Tankstelle mehr und wer gut Handeln kann zahlt auch schonmal weniger. Innerhalb der Angebots- und Nachfragebeziehungen ein altes Konzept kapitalistischer Marktwirtschaft. Dank Big Data und vermeintlicher Vorhersage erfährt die Preisdifferenzierung eine Personalisierung, die in der Theorie einer Perfektionierung gleich kommt.

Bei der perfekten Preisdifferenzierung geht es nicht nur darum für ein Produkt den bestmöglichen Preis (aus Sicht des_der Verkäufer_in) zu bekommen, sondern auch den bestmöglichen Preis, den ein_e Kunde_in bereit ist zu zahlen. Und wo ließe sich das besser ermitteln als im Internet, wo keine Preisschilder ausgedruckt und ausgewechselt werden müssen. Amazon ändert seine Preise angeblich alle 15 Minuten auf bestimmten Produkten und laut einer aktuellen Untersuchung ändern die großen Händler die Preise von 15-20% ihrer Produkte regelmäßig.

Preisdifferenzierung in der Theorie

Die Ökonom*innen unterscheiden drei Stufen der Preisdifferenzierung1

3. Getrennte Märkte: Bei der einfachsten Form der Preisdifferenzierung werden unterschiedliche Preise für unterschiedliche Märkte oder differenzierbare Marktsegmente angeboten. Dabei wird z.B. die Preissensibilität in bestimmten Personengruppen genutzt, um den Absatz zu erhöhen. Dann gibt es etwa Rabatte für Studierende oder Menschen mit geringem Einkommen. Das klappt umso besser je monopolartiger man sein Produkt vertreibt. Wenn es noch einen zweiten Apple-Hersteller gäbe könnte der ja sagen: Bei mir gibt’s Studirabatt für alle! Da dem nicht so ist, kann Apple die Preisdifferenzierung benutzen um Kund*innen an die Marke zu binden.

2. Versionierung: Das selbe Produkt wird in unterschiedlichen Versionen zu unterschiedlichen Preisen angeboten. Wenn zum Beispiel ein Film neu erscheint kostet es im Kino mehr als wenn man ihn später per Blueray oder Stream kauft. Da hängt man mit der Aktualität hinterher, kann den Film aber (meistens) so oft gucken wie man will. Frühbucherrabatte bei Flugreisen haben ein ähnliches Prinzip.

Hier wird auch die Ambiguität von Preisdifferenzierung deutlich. Die Wirtschaftswissenschaftler*innen würden vermutlich argumentieren, dass diese Orientierung an der Preissensibilität ziemlich fair ist. Der*die Anbieter*in kann ihr Produkt mit maximaler Marge verkaufen und „preissensible“ Kund*innen (aka ‚arm‘ oder ‚geizig‘) können ja nach ihren Vorlieben zuschlagen. Auf der anderen Seite hat man diese Wahl natürlich nicht beliebig. Während die wohlhabenden frei entscheiden können wann sie kaufen und flexibel bleiben können, haben andere diese Wahl nicht.

1. perfekte Preisdifferenzierung: Die Königsdisziplin ist es nun, wenn man den Preis eines Produkts nicht mehr nur nach Märkten und Versionen ändert, sondern für jeden Kauf einzeln das Etikett so angepasst wird, dass die*der Kund*in (gerade noch) zuschlägt.

Daten, Daten, Kontext

Es ist nun aber nicht trivial diesen Preis jeweils pro Transaktion zu bestimmen. Gerade im e-commerce gibt es dazu Firmen (z.B. Blue-Yonder oder Feedvisor), die sich darauf spezialisiert haben und das als Dienstleistung für Händler*innen anbieten.  Der Verkaufspreis einer Ware wird dann durch Computersysteme automatisch bestimmt und regelmäßig verändert, und dabei spielen im groben drei Akteur*innen einen Rolle:

  • Die eigene Planung: Vielleicht will man als Verkäufer*in gerade mal was loswerden (wie im Winterschlussverkauf) oder will einem bestimmten Marktbereich Kund*innen gewinnen, die dann ein Produkt kaufen was man unter Wert anbietet aber noch zwei andere ( oder die Versandkosten) die dafür teurer sind.
  • Die Konkurrenz: Wenn man auf hohen Absatz zielt ändert man den Preis immer so, dass er niedriger ist als bei der Konkurrenz. So landet man in den Preissuchmaschinen immer oben. Amazon scheint da ganz vorne dabei zu sein und hier kann man lesen, dass etwa der Preis für einen Router an einem Tag 8 mal geändert wurde.
  • Der*die Kund*in: In Fällen in denen man nicht so starker Konkurrenz ausgesetzt ist kann der Preis auch spezielle auf den Geldbeutel der*des Kund*in abgestimmt werden. Die großen Online-Tracking-Anbieter*innen und Kund*innendatenbankdienste sammeln dazu fleißig Daten, sortieren Leute in Kategorien und bestimmen anhand vieler verschiedener Daten was man einem*r Kund*in abverlangen kann. Acxiom gehört da in den USA zu den ganz großen und verkauft Geschichten wie sie den Preis eines Produkt (durch Rabatte) immer weiter reduzieren (und durch Online Werbung eine Person immer wieder darauf aufmerksam machen) bis die*der dann kauft. Auch schon ein paar Jahre älter ist die Geschichte von höheren Preisen für User, die mit einem Mac auf der Seite einer Flugsuchmaschine surften.

Nach einer Erhebung von 360pi scheint aktuell vor allen Dingen der Wochentag sowie die Tageszeit einen Einfluss auf die Preise zu haben. Bei den meisten der untersuchten Anbieter*innen wird’s zum Wochenende und Abends billiger.

Und was ist daran schlimm?

Der*die geneigte Marxist*in wird sich denken, dass das mit dem Tauschwert schon immer ein Fetisch war und sich hier grundsätzlich nichts ändert. Und die*der ökonomisch Denkende wird die Online-Shoppingtouren halt jetzt in die Abenstunden verlegen und das Beste aus dem System machen. Gleichzeitig wächst die Macht der Preissuchmaschinen an denen sich die Kund*innen genauso wie die Händler*innen orientieren. Vielleicht gibt’s dann auch so lustige Phänome wie an der Börse mit Preisblasen und Crashs, weil sich alle automatisch unterbieten.

Gruselig find ich vor allem die Perspektive auf Datenschutz oder viel mehr informationelle Selbstbestimmung. Vor allem die personenbezogene Preisgestaltung, die ist, im Gegensatz zu den eher simplen Tageszeit-Verfahren, absolut intransparent. Mein Social Media Profile wird dann genauso wie mein Browser-Fingerprint und mein Tippverhalten (wie bei Kreditech) zur Preisgestaltung genutzt. Hier kann aus der Preisdifferenzierung dann auch Preidiskriminierung werden, ohne dass es jemand merkt. Dazu werden noch eine Menge Informationen generiert, die wiederum auf irgendwelchen statistischen Annahmen beruhen, wie dem Pregnancy Prediction Score oder so2.

Den schlechten Ruf, den die dynamische Preisgestaltung deswegen teilweise hat, aber das scheint sich auch gerade zu ändern, wird häufig mit einfachen Marketingtricks entgegen gewirkt. Statt den Preis ständig zu ändern und die Kund*innen zu verschrecken, ändert man das drumherum. Keine Versandkosten, 20% auf (fast) alles, Bonuspunkte oder Gutscheine für den nächsten Kauf. Alles kleine Häppchen, die schon jetzt zur Preisdiskriminierung beitragen.

Nächste Schritt: Offline

Was im Online Handle immer üblicher wird macht die Offline-Konkurrenz neidisch.3 Allerdings lässt sich in den klassischen Supermärkten bisher weder das Verhalten der ziemlich analogen Kund*innen besonders gut auswerten, noch macht es einen guten Eindruck, wenn die*der Verkäufer*in ständig neben einem her dackelt und einem vor der Nase die Preisschilder auswechselt, je nachdem ob man die guten oder die schlechten Schuhe angezogen hat. Allerdings arbeiten verschiedene Unternehmen mit Gratis-WLANs, Kund*innenkarten und elektronischen Preisschildern schon an vergleichbaren Verfahren für den Offlinemarkt. Aber das ist einen sparaten Artikel wert.

Kurzes update vom 21.06.2015: auf heise wird von einem Vortrag von IBM berichtet, der die Zukunftsvision des Einzelhandels beschreibt. „Hyper-relevance“ und so.

  1. Wikipedia erklärt das auch, aber im Kontext von Kund*innensegmentierung kann ich auch diesen Artikel empfehlen: A. Danna and O. H. Gandy, “All That Glitters is Not Gold: Digging Beneath the Surface of Data Mining,Journal of Business Ethics, vol. 40, no. 4, pp. 373–386, 2002. []
  2. Siehe dazu: O. H. Gandy, The Panoptic Sort – A Political Economy of Personal Information. Boulder u.a.: Westview Press, 1993. []
  3. M. Broderick, “What’s the Price Now?,” Commun. ACM, vol. 58, no. 4, pp. 21–23, März 2015. []